#IAMLOST
Anna L.
Urologenvilla mit falscher Geschichte

Die Geschichte
Gäbe es in der Lostplacekultur einen deutschen Rockstar, dann wäre es wohl die alte Urologenvilla „Anna L“. Kein verlassener Ort in Deutschland genoss in den letzten Jahren soviel Aufmerksamkeit und Besucher wie dieses Gebäude mitten in Bad Wildungen. Glück für jeden, der die Arztpraxis besuchen konnte, bevor sie völlig überrannt wurde und mittlerweile stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Briefe, Kontoauszüge, Zahnprothese, ein Labor mit allerhand Werkzeugen und vieles mehr finden sich heute noch in dem damals noch voll eingerichteten und intakten Haus. Behandlungsstuhl, Patientenliegen, in Formaldehyd eingelegte menschliche Organe, Nieren in verschiedenen Krankheitsphasen – auch die Praxis wirkte von heut auf morgen verlassen und weckte in einigen scheinbar den Eindruck von Dr. Frankensteins Labor höchstpersönlich, denn mittlerweile finden sich Namen wie die „mysteriöse Horrorvilla“ oder „Die Villa des Dr. Pain“ im Internet wieder, welche mit fiktiven Hintergrundinformationen über die gruseligen Vorbesitzer aufklären sollen. Wie so oft handelt, es sich bei diesen verschwurbelten Storys lediglich um Fantasien von Besuchern, die im Spiegel der Villa irgendwelche Gestalten gesehen haben wollen. Zugegeben – ein wenig gruselig ist es hier schon. Die Atmosphäre der Villa hat mit ihrer Zerstörung durch Randalierer und ungebetene Gäste zwar stark gelitten, aber der ein oder andere eiskalte Schauer läuft einem auch heute noch über den Rücken.
Die Villa gehörte ursprünglich dem Ehepaar Dr. K. Kraft und Dr. C. Kraft, die im Februar 1942 heirateten. Dr. K. betrieb hier eine eigene Praxis und war zudem am Liborius-Krankenhaus tätig. Aufgrund noch vorhandener Unterlagen im Gebäude lassen sich einzelne familiäre Zusammenhänge zumindest ansatzweise nachvollziehen: So war Dr. K. der Sohn von K. Kraft (aus erster Ehe). Das Ehepaar lebte mit fünf Kindern – J., V., K., F.-T. und C. – in der Villa. Nebenan bewohnte K. Kraft mit seiner zweiten Ehefrau H. Kraft eine weitere Villa, die inzwischen saniert wurde.
Aus Briefen von Sohn J. geht hervor, dass er um 1967 in Frankreich studierte. Tochter C. lebt nachweislich in Aachen; anders als in mancherlei kursierenden Gerüchten ist sie nicht in der Villa verstorben. Dr. K. verstarb 1988. Ein Grabstein von ihm befindet sich gemeinsam mit dem von V. noch heute auf dem Gelände. Es liegt nahe, dass die Villa seit diesem Zeitpunkt nicht mehr dauerhaft bewohnt wurde. Hinweise auf finanzielle Belastungen – erkennbar in einzelnen gefundenen Kontoauszügen – könnten ein Grund dafür sein, dass das Haus nicht in der Familie blieb. Neben diesen nachvollziehbaren Fakten kursieren im Internet weitere, jedoch fehlerhafte Darstellungen, die eigentlich das benachbarte Haus von K. und H. Kraft betreffen.
Die Falsche Geschichte (Nachbarhaus)
Die Villa gehörte zuletzt H. K., die 1906 in Teutschenthal bei Halle geboren wurde und im hohen Alter in einem Altenheim in Reinhardshausen verstarb. Anlässlich ihres 104. Geburtstags im Jahr 2010 gab sie noch ein Interview mit einem Lokalreporter. Ihren späteren Ehemann, den Urologen Dr. K. K., lernte sie 1931 in Bleicherode kennen. Dieser war gemeinsam mit dem Hausarzt bei ihrer Familie zu Besuch und suchte zu jener Zeit nach einer Unterstützung für seine Praxis. Auf Anraten ihrer Eltern nahm sie die Stelle an – und bereits wenige Monate später heirateten die beiden.
Aus der Ehe gingen Kinder hervor, doch ist unklar, wie viele es insgesamt waren. Gesichert ist, dass 1936 ein Sohn D. geboren wurde, der später selbst als Arzt tätig war. Nach dem Tod von Dr. K. K. wurde der große Praxisbereich an verschiedene Ärzte vermietet, während H. K. den Wohnbereich bis 2006 weiterhin selbst nutzte. Bis 2021 kümmerte sich eine Bekannte um die Villa, während Sohn D. die Praxisräume weiter vermietete. Nach dem endgültigen Auszug wurde das Gebäude saniert und wird heute als Ästhetikklinik genutzt.
Mittlerweile ist die Villa sowohl durch Umwelteinflüsse, als auch durch den Menschen stark beschädigt. Eine Vielzahl an Gegenständen wurden aus der Villa entwendet, vieles zerstört und Akten, Bücher, Kleidung etc. quer über die Etagen verteilt. Einzig das schöne Klavier steht immer noch an seiner Stelle und staubt vor sich hin. Anna L ist ein Exempel, wenn es darum geht zu zeigen, warum das Verhalten in einem Lost Place maßgeblich darüber entscheidet, wie Orte erhalten bleiben oder nicht. Erschreckend war vor allem, dass sich der mumifizierte Hund scheinbar wie von Geisterhand für Fotos einmal quer durchs Gebäude bewegte. Wie kommen Menschen auf den Gedanken, es könnte eine gute Idee sein, eine in ein Tuch geschlagene Hundeleiche quer durch das Haus zu bewegen, nur um „einzigartige“ Bilder machen zu können. Machen wir uns nichts vor, liebe Anna L – dein Fame wurde für dich zum Verhängnis und einer der wertvollsten Lost Places des letzten Jahrzehnts zugrunde gerichtet.
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